Kino „Made in Denmark“ Teil I

Multitalent Anders Thomas Jensen (Dänische Delikatessen) hat erneut zugeschlagen: Seine tragikomische Geschichte schildert die Begegnung eines überzeugten Neonazis mit einem sanftmütigen Dorfpfarrer.

Das dänische Kino ist mit seinen Dogma-Werken weltbekannt geworden. Lars von Trier, der Agent Provocateur des sozialkritischen Films, ist ein gern gesehener Gast auf jedem Filmfestival. Er sorgt berechenbar für Skandale und Schlagzeilen. Im Schatten von Triers hat sich in den zurückliegenden Jahren eine Szene junger kreativer Köpfe etabliert, die auch abseits der Dogma-Traditionen für vitales, erfrischendes Kino „Made in Denmark“ stehen.

Hier ist noch Text.

Anders Thomas Jensen ist so ein künstlerisches Multitalent. Als Drehbuchautor und Regisseur gehört er zu den gefragtesten Filmemachern Dänemarks. Seine Werke zeichnen sich durch einen zuweilen pechschwarzen Humor und eine spielerische Vermischung unterschiedlicher Genres aus. Auf den Publikumserfolg In China essen sie Hunde (I Kina spiser de Hunde, 1999), zu dem er das Drehbuch beisteuerte, folgten unter anderem mit Flickering Lights (Blinkende Lygter, 2000) und Dänische Delikatessen (De Grønne Slagtere, 2003) zwei viel beachtete Regiearbeiten, die Jensens Vielseitigkeit demonstrierten. Während Flickering Lights geschickt die Erwartungen des Publikums unterläuft, indem sich eine konventionelle Gangster-Farce in eine ruhige Tragikomödie verwandelt, irritiert letzterer aufgrund seiner mutigen Gratwanderung zwischen bösen Pointen und reinen Geschmacklosigkeiten.

In Adams Äpfel (Adams Æbler) erzählt Jensen die als Fabel angelegte Geschichte einer zunächst erzwungenen Wohn- und Arbeitsgemeinschaft. Im Zuge eines Resozialisierungsprogramms für Straftäter wird der Neonazi Adam (Ulrich Thomsen) dem notorisch sanftmütigem und mit einem unerschütterlichen Verständnis ausgestatteten Dorfpfarrer Ivan (Mads Mikkalsen) anvertraut. Auf dessen Frage, was er sich denn für eine Aufgabe während seines Aufenthalts ausgesucht habe, antwortet Adam eher spöttisch, er wolle aus den Äpfeln am kirchlichen Apfelbaum einen Kuchen backen. Leichter gesagt als getan, kommt es doch immer wieder zu heftigen Auseinandersetzungen mit den anderen Schäfchen des Pfarrers. Besonders der arabisch-stämmige Khalid (Ali Kazim), ein mehrfach verurteilter Tankstellenräuber, ist nicht gut auf Adams Rassenwahn zu sprechen. Aber auch mit dem Vergewaltiger Gunnar (Nicolas Bro) hat der glühende Hitler-Verehrer so seine Schwierigkeiten.

Die Annäherung zwischen Adam und Ivan umläuft die ausgetretenen Pfade üblicher Erweckungsgeschichten, in denen der anfangs zum Unsympath degradierte Anti-Held seine heilende Katharsis erfährt. Klar ist, dass Adams Weltsicht gebrochen werden muss, doch Jensen vermeidet es, Mechanismen standardisierter Rührstücke einzusetzen. Die Überraschung liegt vielmehr darin, dass es auch Ivan ist, der erst über Adams schmerzhafte Provokationen zu einer direkten Auseinandersetzung mit seiner idealisierten und von einer krankhaften Gutmütigkeit verblendeten Weltsicht gezwungen wird. Sein Charakter, eine Mélange aus Dostojewskis „Der Idiot“ und Homer Simpsons gottesfürchtigem Nachbarn Ned Flanders, erfährt durch Adam einen ungeschönten Blick auf die Realitäten. Das mitzuerleben, ist auch für den Zuschauer ein keineswegs einfacher Prozess. Jensen gelingt es, das zu integrieren, was Altmeister Woody Allen in Melinda & Melinda (2004) nur auf einer intellektuellen Ebene thematisierte: Die Veranschaulichung des ewigen Antagonismus zwischen Komik und Tragik.

Zu Jensens Markenzeichen gehören auch die geradezu eruptiven Gewaltausbrüche. Adam tritt und prügelt auf Ivan ein, ohne Rücksicht, voller Hass. Und die Kamera hält die Szene ohne einen schamhaften Schwenk zur Seite fest. Die Gewalt und vor allem ihre Konsequenzen finden bei Jensen nicht im Off statt. Indem er die blutigen Intermezzi mit seinem typischen politisch nicht korrekten Humor überzieht, nimmt er ihnen die Schärfe, gleichzeitig entwertet es jedoch nicht die Sprengkraft der Bilder.

Von den rigiden Dogma-Regeln lässt sich Jensen bei seinen Regiearbeiten keine Limitierung auferlegen. Dafür liebt er es zu sehr, mit Perspektiven, Spezialeffekten und Licht zu experimentieren. So schaut die Kamera und mit ihr der Zuschauer oftmals eingeschüchtert zum glatzköpfigen Hünen Adam hinauf, dessen athletischer Körper aus dieser Einstellung weitaus bedrohlicher erscheint. Bei der Mise en scène bediente sich Jensen einer teilweise religiös motivierten Gut-Böse-Symbolik. Umrisse eines Kreuzes verschwimmen in der Unschärfe des Hintergrunds, während Adam überlegt, wo er das sorgsam behütete Hitler-Porträt aufhängen soll. Eine Rabenplage und wurmstichige Äpfel gehören zu weiteren wiederkehrenden Motiven des Films. Schließlich öffnet Jensen sogar die Trickkiste, um, wie schon sein Kollege Lasse Spang Olsen beim Dänen-Kult In China essen sie Hunde, die himmlischen Mächte bemühen zu können.

Wenngleich der Film nicht gerade zurückhaltend die christliche Weltsicht durch seine blutgetränkte Handlung dreht und die Person des Pfarrers diverse Tiefschläge einstecken muss, bewahrt sich Jensen stets den Respekt für seine Charaktere und deren Probleme. Adams Äpfel strahlt zu jeder Zeit unmissverständlich den Glauben an ein zutiefst humanistisches Menschenbild aus. Danke, Anders Thomas Jensen. Für den Apfelkuchen. Für die Erkenntnis, dass eine harte Schale knacken zu wollen, schon schwierig sein kann, eine bereits weiche zum Aufbrechen zu bringen, aber noch weitaus schwieriger. Und für einen Film, der glücklich macht.