Der französische Fernsehsender France 2 hat es in seiner Reportage ‘Syrie: l’aveuglement’ (Die Verblendung) aus der Reihe ‘Un oeil sur la planète’ auf den Punkt gebracht: Die Sicht der Regierungen auf den Konflikt in Syrien bezieht sich eher auf Fiktion als auf die Realität mit ihren vielfältigen Verflechtungen. Die daraus entstandenen Fehleinschätzungen und Fehlentscheidungen haben zu der heutigen dramatischen Situation geführt.
Zu Beginn des Aufstands 2011 gegen den syrischen Alleinherrscher Baschar al-Assad wurde in den westlichen Medien von einer Sehnsucht nach Demokratie gesprochen, wobei viele der Aufständischen Islamisten bzw. Muslimbrüder waren, die vermutlich vielmehr die Abschaffung des Laizismus als die Einführung der Demokratie im Sinn hatten.
Der syrische Nationalrat – die syrischen Gegner Assads auf der internationalen Bühne – war von Anfang an islamistisch geprägt und die Mitglieder, die sich kritisch gegenüber dem zunehmenden Einfluss der Muslimbrüder äußerten, wurden ausgeschlossen. Die Islamisierung der Widerstandsbewegung wurde ignoriert, weil es dem eigenen Weltbild entsprach, darin eine reine demokratische Bewegung zu sehen und dies diente auch dem Ziel, das brutale Assad-Regime zu stürzen. Auch die Tatsache, dass die Rebellen-Truppen vor Gräueltaten genauso wenig zurückschreckten wie die Regierungssoldaten, wurde lange ausgeblendet. Die Frage nach der Finanzierung der Rebellen-Gehälter (um ein Vielfaches höher als die der regulären Armee) schien ebenfalls auf wenig Interesse zu stoßen.
Darüberhinaus nahm man hierzulande vielmehr die Anti-Assad-Demonstranten als die Pro-Assad-Demonstranten wahr, unter denen vor allem Aleviten, Christen, Drusen, Kurden aber auch einige Sunniten waren. Letztere schienen sich mit dem Regime arrangiert und von dieser Allianz profitiert zu haben. Baschar al-Assad war in Syrien durchaus beliebter als im westlichen Ausland und bei seinen sunnitischen Nachbarn (Saudi-Arabien, Qatar, Türkei…).
Es entstand von Anfang an ein Bild, das nicht unbedingt realitätskonform war. Dies führte dazu, dass die Rebellen mit Waffen und Geld vielfach unterstützt wurden, die sogenannten gemäßigten Rebellen vom Westen (vor allem USA und Frankreich), die Islamisten von Saudi-Arabien, Qatar und – was man lange nicht wahrhaben wollte – vom Nato-Partner Türkei. Währenddessen wurde das syrische Regime vom Iran und von Russland unterstützt. Die Internationalisierung des Konflikts führte zu brüchigen Beziehungen zwischen den verschiedenen Protagonisten.
Später wurde klar, dass amerikanische, französische oder deutsche Waffen in den Händen der Islamisten waren, die ihrerseits auch dem Westen – und nicht nur Assad – den Krieg erklärt hatten (Anschläge in Frankreich und der Türkei). Zahlreiche Rebellen, von den angenommen wurde, dass sie gemäßigt waren, waren zu den Islamisten übergelaufen, hatten sich dem Islamischen Staat ergeben oder ihre Waffen zu Geld gemacht.
5 Jahre später weiß niemand, ob es überhaupt noch eine gemäßigte Opposition in Syrien gibt. Zweifeln sind angebracht. Es ist aber anzunehmen, dass die Intervention des Westens und der sunnitischen Nachbarn den Islamischen Staat stark gemacht hat. Was von den Zweiten vermutlich beabsichtigt war, ist bei den Ersten das unglückliche Ergebnis einer Kette von Fehleinschätzungen und strategischen Fehlern.
Assad musste weg aber über eine realistische Alternative wurde nicht nachgedacht und die Frage stellt sich heute mehr denn je: Gibt es eine Alternative zu Assad, der trotz seiner Foltermethoden immerhin die religiösen Konflikte im Griff hatte? Die Muslimbrüder, für die die Demokratie ein Werkzeug ist, um an die Macht zu kommen, damit sie sie am Ende besser abschaffen können (wie etwa in Ägypten) sind keine sinnvolle Option. Eine politische Diktatur durch eine religiöse zu ersetzen bringt keinen Fortschritt. Darüber sollte man nachdenken, bevor es zu spät ist.
Ist die Türkei ein zuverlässiger Partner, um die Flüchtlingskrise zu lösen? Auch da sind Zweifeln angebracht, denn Erdogan ist vermutlich mehr am Sturz Assads und an der Bekämpfung der Kurden als an einem Sieg über die Islamisten interessiert.
Die europäische Flüchtlingskrise ist das katastrophale Ergebnis einer verfehlten Strategie des Westens und des Doppelspiels mancher islamischer Staaten, von der kopflosen Politik der Bundesregierung bzw. Angela Merkels ganz zu schweigen.
Sollten Saudi-Arabien und die Türkei Bodentruppen nach Syrien schicken, so ist zu befürchten, dass diese die syrische Regierungsarmee sowie die kurdischen Kämpfer und weniger den Islamischen Staat bekämpfen werden. Die Türkei im Krieg gegen Russland? Wahrscheinlich wüsste der Westen wieder nicht, wo er eigentlich steht und er bekäme noch mehr Flüchtlinge. Dadurch würde sich der Streit innerhalb der EU noch verschärfen und Deutschland noch mehr isolieren.
Der Krieg in Syrien ist längst zu einem Weltkrieg geworden. Es geht nicht mehr um Assad, um das syrische Volk, auch nicht um Demokratie, es geht lediglich um wirtschaftliche Interessen (Öl), geostrategische Überlegungen sowie religiös-politische Herrschaft (schiitische bzw. sunnitische Dominanz). Die Bilanz ist ernüchternd, die Verblendung hat das makabre Spiel gefälscht – die Fiktion ist der dramatischen Realität gewichen.
Keiner weiß, wie es weitergeht aber es ist zu befürchten, dass der Krieg andauern wird und mit ihm die Flüchtlingswelle, der Zank in Europa und die vergiftete Debatte um (falsche) Solidarität und letztendlich der Rechtsruck und der Islamismus.
Die Demokratie und die Freiheit werden die Verlierer sein. Wollen wir es?
Irgendwann wird sich auch diese Frage nicht mehr stellen…
I.T.T.