Lasswell-Formel für starke Fotos

 

Die Lasswell-Formel ist ein klassisches Kommunikationsmodell, das sich brillant auf die konzeptionelle Fotografie übertragen lässt. Als Fotograf nutze ich sie als mentale Checkliste, um meine Bildideen von vornherein aussagekräftiger und zielgerichteter zu planen und dann zu Fotografieren.
Statt einfach nur „ein schönes Bild“ zu machen, helfe ich mir mit diesen fünf Fragen, ein zielgerichtetes Foto, Kommunikation zum Betrachter zu erschaffen.

Als Künstler sagt du mir mit deiner Arbeit etwas über Dich selbst. Das ist es, was deine Arbeit von den anderen unterscheidet„.
Anton Corbijn

Hier ist die Zusammenfassung der fünf Punkte, speziell für die Fotografie aufbereitet, mit Beschreibung und Beispielen aus meiner Praxis.

Die Lasswell-Formel für Deine Fotografie:
Dein Blueprint für starke Bilder.
Die fünf Fragen, die vor jedem Shooting zu stellen sind:

1.) WER? (Der Fotograf / Die Subjekt-Perspektive)

Frage: Wer kommuniziert? Von wem stammt die Bildaussage? Welche Perspektive nehme ich ein?

  • Beschreibung: Dies ist die Frage nach meiner eigenen künstlerischen Haltung oder der Rolle des Hauptmotivs. Bin ich ein neutraler Beobachter, ein inszenierender Regisseur oder ein teilnehmender Geschichtenerzähler? Das „Wer“ definiert den emotionalen und konzeptionellen Ausgangspunkt des Fotos.
  • Beispiel für ein Porträt: Ich möchte ein Porträt einer Balletttänzerin erstellen.
  • Option A (Ich als Regisseur): Ich inszeniere sie perfekt ausgeleuchtet im Studio, in einer eleganten Pose. Das Bild kommuniziert meine Vision von Perfektion und Anmut.
  • Option B (Ich als Dokumentarist): Ich fotografiere sie hinter der Bühne, verschwitzt und mit erschöpftem, aber zufriedenem Blick. Das Bild kommuniziert ihre Authentizität und Hingabe. Das „Wer“ ist hier sie, und ich bin nur der Kanal.
  1. WAS? (Die Botschaft / Das Bild selbst)
    Frage: Was wird gezeigt? Was ist der konkrete Inhalt und die Komposition des Bildes?
  • Beschreibung: Das ist die rein handwerkliche und inhaltliche Ebene. Was ist im Sucher? Welche Elemente füge ich ein, welche lasse ich weg? Welche Farben, Linien, Lichtstimmungen setze ich ein? Das „Was“ ist die rein visuelle Übersetzung der Idee.
  • Beispiel für ein Stillleben:
    Ich soll eine neue, biologische Limonade fotografieren.
  • „Was“ Option A (Frische):
    Die Flasche steht im Gegenlicht auf einer verwitterten Holzplanke, Wassertropfen perlern daran herab, halbierte Zitronen und frische Minzzweige liegen daneben. Die Botschaft ist „natürlich und erfrischend“.
  • „Was“ Option B (Modernität):
    Die Flasche steht vor einem cleanen, hellgrauen Hintergrund, perfekt ausgeleuchtet, das Logo steht im Fokus. Die Botschaft ist „modern, puristisch und markenstark“.
  1. WEM? (Das Zielpublikum / Der Betrachter)
    Frage: An wen richtet sich das Bild?
    Wer soll es am Ende sehen und wie soll es wirken?
  • Beschreibung: Dies ist die vielleicht wichtigste Frage für einen professionellen Fotografen. Das gleiche Motiv wird völlig anders fotografiert, je nachdem, ob es für eine junge, urbane Zielgruppe auf Instagram, für einen Foto-Blog, Fotobuch oder für eine Kunstgalerie, Ausstellung bestimmt ist. Ich stelle mir meinen idealen Betrachter immer ganz konkret vor und versuche seine Bedürfnisse zu verstehen. Sprecht mit den Menschen, sucht das Gespräch, den Austausch und habt spaß dabei.
  • „Wem“ Option A für Street-Fotografie: Ich fotografiere einen alten, verwitterten Buchladen.
    Es gibt interessante Fassaden, Objekte und Menschen mit Ausstrahlung. Es gibt ungewöhnliche Straßenszenen, die Aufmerksamkeit erregen und zum Nachdenken anregen. Der Phantasie sind keine Grenzen gesetzt. Wer es nicht versucht, weiß nicht, was ihm entgeht.
  • „Wem“ Option B (Reisemagazin): Das Bild ist farbenfroh, lebendig, zeigt Touristen, die davorstehen. Es soll Sehnsucht und Reiselust wecken.
  • „Wem“ Option C (Kulturblog): Das Bild ist in Schwarz-Weiß, fokussiert sich auf die Stimmung und konzentriert sich auf das Wesentliche. Es soll z.B. den Ausdruck der zugrundeliegenden Bild Idee plastisch, reduziert, darstellen.
  1. WORÜBER? (Das Medium / Der Kanal)
    Frage: In welchem Kontext, auf welchem Kanal oder Medium wird das Bild gezeigt?
  • Beschreibung: Das Format und der Präsentationsort beeinflussen die Bildsprache massiv. Ein Bild für eine großformatige Plakatwand muss anders wirken (einfacher, kontrastreicher) als eines für ein hochauflösendes Online-Lookbook. Der Kanal diktiert Aspekte wie Komplexität, Format (Hochkant/Querformat) und Dateigröße.
  • Beispiel für ein Food-Foto: Ich fotografiere ein Gourmet-Gericht.
  • „Worüber“ Option A (Instagram Feed): Hochformat, starke Tiefenunschärfe, um das Hauptmotiv freizustellen. Helle, luftige Farben („Foodporn“-Ästhetik).
  • „Worüber“ Option B (Restaurant-Website Banner): Querformat, alles muss scharf und erkennbar sein, Platz für Textfreiflächen, ruhigere Komposition.
  1. WELCHE WIRKUNG? (Der gewünschte Effekt)
    Frage: Was soll das Bild beim Betrachter auslösen? Welche Emotion, welche Handlung, welche Gedanken soll es bewirken?
  • Beschreibung: Dies ist das finale Ziel, die Krönung der vorherigen vier Punkte. Jedes Element des Bildes muss auf diese gewünschte Wirkung hinarbeiten. Soll das Bild verkaufen, informieren, schockieren, beruhigen, Identifikation stiften?
  • Beispiel für ein Porträt:
  • „Welche Wirkung“ Option A (Vertrauen & Kompetenz): Weiches, seitliches Licht (Rembrandt-Licht), lächelnder, aber entschlossener Blick in die Kamera, neutraler Hintergrund. Wirkung: „Dieser Mensch ist fähig und vertrauenswürdig.“
  • „Welche Wirkung“ Option B (Innovation & Dynamik): Umweltporträt im Büro, er steht am Whiteboard, ungewöhnlicher Kamerawinkel, kühleres Licht. Wirkung: „Dieser Mensch ist ein Visionär und Vorreiter.“

Fazit aus der Praxis:
Indem ich mir vor dem Drücken des Auslösers diese fünf Fragen systematisch beantworte, verwandelt sich mein Shooting von einem Zufallsprodukt in einen präzisen Akt der Kommunikation. Es zwingt mich, Absicht in jedes Detail zu legen und sicherzustellen, dass das finale Bild nicht nur technisch einwandfrei, sondern vor allem auch konzeptionell kraftvoll ist. 

Probiere es bei Deinem nächsten Shooting aus: Stelle Dir bewusst die fünf Fragen. Du wirst feststellen, dass Deine Bilder nicht nur technisch sauberer wirken, sondern vor allem strategisch stärkere Botschaften transportieren.


Tipps zur Bildauswahl – orientiert an der Lasswell-Formel

  • Wähle Bilder, die genau das ausdrücken, was du sagen möchtest, anstatt einfach nach optischer Schönheit zu gehen.
  • Prüfe jedes Bild anhand der Lasswell-Fragen: Spiegelt das Foto die beabsichtigte Botschaft, Zielgruppe, den Kanal und die gewünschte Wirkung wider?
  • Stelle sicher, dass das Bild sowohl für das geplante Medium (Print, Web, Social Media…) als auch für die Zielgruppe funktioniert.
  • Arbeite bewusst mit unterschiedlichen Bildtypen – z.B. mit „Abbildern“ (sachlich, beschreibend) und „Prozessbildern“ (erzählerisch, handlungsorientiert). So lässt sich das Tempo und die Wirkung von Bildstrecken steuern.
  • Achte auf die Bildqualität, emotionale Aussage, Komposition und die technische Umsetzung. Ein klarer Fokus auf die geplante Wirkung erleichtert die Auswahl.

Mit einer Kombination aus kreativer Intuition und strukturierter Analyse wird die Bildauswahl präziser, zielgerichteter und transportiert die gewünschte Botschaft effektiver.


Zu guter Letzt, eine Checkliste:

WER?
Wer kommuniziert?
Aus welcher Perspektive entsteht das Bild?
Bin ich Regisseur, Beobachter, Erzähler – oder stelle ich das Motiv ins Zentrum?

WAS?
Was ist im Bild zu sehen?
Welche Elemente, Farben, Stimmungen soll das Foto enthalten?
Inhalt, Komposition, Licht und Fokus bewusst wählen.

WEM?
Für wen ist das Foto bestimmt?
Wer ist das Zielpublikum?
Wie unterschiedlich müsste das Bild aussehen für Profis, Laien, Kunden, Publikum?

WORÜBER?
In welchem Medium/Kanal wird das Bild gezeigt?
Welches Format, welche Auflösung, Präsentationsweise braucht es dort?

WELCHE WIRKUNG?
Welche Reaktion will ich auslösen?
Welche Emotion, welche Handlung, welchen Gedanken?
Soll das Bild informieren, verkaufen, berühren, zur Diskussion anregen?

Viel Erfolg beim Umsetzen!

Euer Sven

 

Schreibe einen Kommentar